Alles bunt nach der Wende

Alles bunt nach der Wende
Anita im DDR-Kindergarten (Bild: privat)

Anita S. war sieben Jahre alt, als die Mauer fiel. Das war am 9. November 1989. Sie besuchte die zweite Klasse und wohnte mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester Betti in einem Haus in Berlin-Pankow, das lag in Ostberlin und gehörte zur Deutschen Demokratischen Republik, kurz DDR. Heute ist sie 32 Jahre alt und wohnt in Berlin.

Anita und Betti

Anita und Betti

Als Kinder wussten wir nicht, dass es eine Mauer gab, die West- von Ost-Deutschland trennte. Aber ich hatte gehört, dass es gleich nebenan ein anderes Land gab. Als wir einmal Besuch aus West-Berlin bekamen, war ich total überrascht, dass ich die Leute verstehen konnte. Die sprachen genau wie ich! Außerdem gab es im Kindergarten Kinder, die Pullis in lila oder pink hatten – während meine Klamotten eher rot, blau oder grün waren. Bei uns gab es pinke Sachen nicht oft. Die Kinder hatten diese Pullis von Verwandten im Westen bekommen. Unsere Eltern erzählten uns nur wenig über die Mauer oder Westdeutschland, weil sie Angst hatten, dass wir darüber sprechen könnten. Später habe ich erfahren, dass es Leute in der Nachbarschaft gab, die einen kontrollierten. Die wollten zum Beispiel wissen, wer zu Besuch kam.

Klassen-Regierung und Ausweise

Anita bei der Einschulung

Anita bei der Einschulung

Als ich mit sechs Jahren in die Schule kam, wurde ich automatisch ein Jungpionier. Das war die Jugendorganisation in der DDR. Man fiel auf, wenn man nicht dazugehörte. Als Pioniere trugen wir an Feiertagen besondere Kleidung: Blauer Rock, weiße Bluse, blaues Halstuch. Ich war ziemlich stolz, dass ich den komplizierten Knoten für das Tuch beherrschte. Wir hatten auch einen Mitgliedsausweis, den fand ich ziemlich cool. Es gab Pionier-Nachmittage an denen wir gemeinsam bastelten und eine kleine Pionier-Regierung in der Klasse, also so etwas wie einen Klassensprecher und seine Vertreter. An dem Tag, als wir die Klassen-Regierung wählen sollten, hat unsere Lehrerin uns vorher gesagt, für welches Mädchen wir abstimmen sollten. Das fand ich doof, ich wollte selbst entscheiden. Also hab ich meinen Ausweis einfach nicht in die Luft gehalten. Ärger hab ich aber keinen bekommen.

Mit dem Milchmann zur Schule

Im Herbst, als ich in die zweite Klasse ging, fiel die Mauer. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern: Mutti und Papi brachten Betti und mich zum Kindergarten. Von dort ging ich mit dem Milchmann rüber in die Schule. An dem Tag hatte ich ein mulmiges Gefühl, es lag so eine Spannung in der Luft. Und vor allem wusste ich, dass Mutti und Papi irgendwohin gehen wollten, aber noch nicht klar war, wann sie zurückkommen würden. Das hat mir ziemlich Angst gemacht. Abends haben Sie uns aber wie gewohnt abgeholt. Heute weiß ich, dass sie einfach mal rüber nach West-Berlin spaziert sind und sich dort umgeguckt haben.

Lollis und Knisterstrohhalme im Westen

Anita mit Betti

Anita mit Betti

Richtig verstanden, dass sich etwas geändert hat, habe ich aber erst, als Betti und ich uns ein Geschenk kaufen durften. Jeder DDR-Bürger hatte nach dem Mauerfall 100 D-Mark bekommen. Obwohl wir nicht so viel Geld hatten, weil meine Eltern erst vor ein paar Jahren ein Haus gekauft hatten, durften wir uns etwas aussuchen. Das Kaufhaus, in das wir gingen, war der größte und bunteste Ort, an dem ich je gewesen war. Ich kannte nur Kaufhallen, in denen die Auswahl nicht so groß war und es zum Beispiel selten frisches Obst und Gemüse gab.  Aber plötzlich waren da diese riesigen Läden und Supermärkte, wo Dinge angeboten wurden, die ich noch nie gesehen hatte. Verschiedene Obstsäfte, bunte Lollis in Knisterpapier oder Knick-Strohhalme. Uns gefielen diese bunten Sachen so gut, dass Betti und ich immer darum gebettelt haben. Irgendwann hat Mutti uns dann gesagt, dass wir uns das nicht leisten können. Durch den Mauerfall waren auch viele Firmen kaputt gegangen und meine Eltern beide arbeitslos.

Halstücher im Kunstunterricht

Anita auf einem Trabi

Anita auf einem Trabi

In der Schule hat sich auch viel geändert: Wir mussten samstags nicht mehr hin, hatten sechs statt fünf Noten und ein Fach namens Sachkunde statt Heimatkunde und Werken. Und plötzlich waren wir keine Pioniere mehr. Wir haben dann alle unsere Halstücher benutzt, um uns im Kunstunterricht die Farbe von den Händen zu wischen. Trotzdem waren wir ein bisschen unsicher, ob wir das Tuch nicht doch irgendwann nochmal brauchen würden. War aber zum Glück nicht so. Durch den Mauerfall hatte ich später viele Freiheiten: Ich konnte studieren, was ich wollte und viel reisen. Dafür bin ich dankbar.

Protokoll: Angela Sommersberg

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