Von Nestflüchtern und Nesthockern

Von Nestflüchtern und Nesthockern
Foto: Patrick Pleul/dpa

Tierbabys können sehr unterschiedlich aufwachsen – die Unterschiede von Tiger bis Giraffe

Die einen Tierbabys bleiben länger im Bauch der Mutter, die anderen kommen schnell auf die Welt. Manche Säugetiere brauchen viel Zeit beim Aufwachsen und Hilfe der Eltern. Andere sind schnell selbstständig. Die Natur kennt viele Wege, wie Tierbabys groß werden.

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Die Nesthocker

Vorsichtig tapsen die vier kleinen Tiger aus ihrem Versteck und erkunden ihr Gehege. Da riecht es doch nach Futter! Kiara traut sich zuerst und entfernt sich ein paar Schritte von ihrer Mama. Sie folgt dem Duft. Ihre drei Geschwister schauen zu. Kiara müht sich über einen großen Ast. Dann sieht sie die Beute! Mit allen Pfoten voran stürzt sich das Tiger-Kind auf ein Hühnerbein. Bis die vier kleinen Sumatra-Tiger im Tierpark Berlin große Raubtiere sind, dauert es aber noch. Solange kümmert sich die Mutter liebevoll um den Nachwuchs. Als die Vierlinge auf die Welt kamen, waren sie nur etwa so groß wie ein Kaninchen – blind, hilflos und nur mit Flaum bedeckt. Wochenlang umsorgte Mayang ihre Kinder in einer Wurfhöhle.

Denn wie alle Raubtiere sind auch Tiger Nesthocker. Das sind Jungtiere, die nicht vollständig entwickelt auf die Welt kommen. Sie sind fast oder ganz nackt und ihre Sinnesorgane sind noch nicht fertig ausgebildet. So bleiben sie einige Zeit in ihren Nestern oder anderen Verstecken und werden von ihren Eltern aufgezogen. Neben den Raubtieren sind etwa auch Mäuse und andere Nagetiere Nesthocker.

Dass die Babys so unfertig geboren werden, bringt den Raubtieren einen Vorteil: „Die Mütter sind nicht so lange trächtig“, erklärt Tierpfleger Mirko Klenz. Er betreut die Sumatra-Tiger im Tierpark. Bei Tigern ist der Nachwuchs nur um die 100 Tage im Bauch. „Würde die Mutter länger tragen, würde ihr dicker werdender Bauch irgendwann beim Jagen stören“, erklärt der Fachmann.

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Die Nestflüchter

Das Gegenteil von Nesthockern sind die Nestflüchter. Dazu gehören etwa alle Huftiere, zum Beispiel Pferde, Giraffen oder Nashörner. Die Babys sind weit entwickelt, wenn sie auf die Welt kommen und können nach wenigen Minuten laufen. Sie sehen und hören gut. Und die Beine sind stark genug, um mit den Eltern mitzulaufen. Diese bringen ihnen bei, was sie fressen können. Kurze Zeit später versorgen sich die Jungen  selbst. Nestflüchter sind meist Tiere, die vor Feinden fliehen müssen. Und deswegen muss der Nachwuchs  möglichst rasch mit den Erwachsenen mithalten.

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Die Traglinge

In der Natur ist noch eine weitere Gruppe von Tierbabys bekannt: die Traglinge. Dazu gehören etwa Koalas und auch Menschenaffen. Sie brauchen anfangs Hilfe. Sie sind aber kräftig genug, um sich an der Mama festzuklammern. Deshalb heißen sie auch „Traglinge“: Weil sie von ihren Elterntieren – meist von der Mutter – umhergetragen werden.  Auch die Tiger-Kinder im Tierpark Berlin haben als Nesthocker noch etwas Zeit, um selbstständig zu werden. Gerade machen sie ihre ersten Schritte auf der Außenanlage. Dort müssen sie es mit Felsstufen und Ästen aufnehmen. Und natürlich mit leckeren Hühnerbeinen! Erst im Alter von zwei Jahren sind Tiger ausgewachsen.

So wachsen Vögel auf

Wusstest du, dass es Nesthocker und Nestflüchter nicht nur bei den Säugetieren gibt? Den Unterschied macht man auch bei den Vögeln. Da passt der Begriff Nest ja auch besonders gut. Wenn Vogelbabys aus ihren Eiern schlüpfen, sind einige Arten mehr, andere weniger fertig entwickelt. Die einen Küken sind nackt und blind. Das sind Nesthocker wie etwa Singvögel. Sie tun nicht viel mehr als ihre Schnäbel aufzusperren, damit ihre Eltern sie füttern. Andere Küken hingegen können schon sehen und haben ein dünnes Gefieder. Das sind Nestflüchter – wie zum Beispiel Enten. Nachdem Entenküken geschlüpft sind, können sie bereits schwimmen und folgen ihrer Mama aufs Wasser, um nach Nahrung zu suchen. In der Vogelwelt sind vor allem die Tiere Nestflüchter, die am Boden brüten und im oder am Wasser leben. Nesthocker sind die, die gut geschützt in einem Baum oder Gebüsch im Nest groß werden. Bis sie bereit sind für ihren ersten Ausflug.

Von Philipp Brandstädter (dpa)