Ein Kopf aus Knete und Silikon

Ein Kopf aus Knete und Silikon
Das Mädchen Avgi starb vor 9000 Jahren. So soll sie ausgesehen haben. Aber woher wissen wir das? Damals gab es ja noch keine Fotos. Das verraten wir hier. (Fotos: Oscar Nilsson)

Wie sahen unsere Vorfahren aus? Wissenschaftler haben eine besondere Technik, um uns das heute zu zeigen.

Schon 25 Jahre ist es her, dass Archäologen in einer Höhle in Griechenland einen alten menschlichen Schädel fanden. Mit Hilfe bestimmter Techniken fanden sie anschließend heraus, dass der Mensch, dem der Schädel gehörte, vor etwa 9000 Jahren gelebt hatte. Avgi, so nannten sie das Mädchen, war nur etwa 18 Jahre alt geworden.

Viele Menschen finden es total spannend, mehr über die Menschen zu erfahren, die lange vor uns gelebt haben. Denn sie hatten ein komplett anderes Leben. Ohne Strom, ohne Autos, ohne Handys lebten sie. Fotos oder Zeichnungen aus ihrer Zeit gibt es nicht. Wie unsere Vorfahren aussahen, ist aber trotzdem bekannt.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat nämlich bestimmte Methoden, um aus einem Schädel zu „lesen“, wie das dazu passende Gesicht aussah. Mit all diesen Informationen aus den gefundenen Knochen können die Wissenschaftler dann ein Gesicht rekonstruieren, also wiederaufbauen.

Wir zeigen dir an dem Schädel des Steinzeit-Teenagers Avgi, wie die Rekonstruktion eines Gesichts funktioniert. Dafür haben wir mit dem schwedischen Archäologen und Rekonstrukteur Oscar Nilsson gesprochen, wie er das Gesicht des schon lange verstorbenen Mädchens wiederherstellte. Dafür hat er sehr lange gebraucht, nämlich ungefähr 220 Stunden.

Das Ergebnis ist verblüffend, denn das Gesicht wirkt wie von einer lebenden Person. Oscar Nilsson sagt: „Ich glaube, dass wir unsere Vorfahren besser verstehen und mehr Respekt vor ihnen und der Geschichte haben, wenn sie ein Gesicht bekommen.“

Schädel scannen

Im ersten Schritt wird Avgis echter Schädel mit einem Computertomografen gescannt. Mit diesem Gerät kann man besonders genaue Bilder von Knochen aufnehmen. Das Bild, das dabei entsteht, ist die perfekte Vorlage für Oscar Nilsson. Ein 3D-Drucker nutzt es nämlich, um eine Kopie des Schädels herzustellen. Erst mit dieser Kopie kann Oscar Nilsson die Rekonstruktion starten. „Niemals mit dem Original-Schädel“, sagt der Schwede. „Der ist nämlich oft sehr zerbrechlich.“

Holzstifte aufkleben

Auf die künstliche Schädelkopie von Avgi klebt Oscar Nilsson ungefähr 30 kleine Holzstifte, die unterschiedlich lang sind. Die Länge der Holzstifte bestimmt, wie dick das Gewebe – Muskeln, Fett und Fleisch – an der entsprechenden Stelle sein muss. Das hängt von vielen Details ab, über die die Wissenschaftler Bescheid wissen, weil sie zum Beispiel die Zähne studiert haben: Wie alt war die Person bei ihrem Tod? Welches Geschlecht hatte sie? Aus welchem Teil der Erde stammte sie? Und wie viel wog sie?

Muskeln anbringen

Im dritten Schritt werden die Muskeln, Sehnen und der Rest des Gewebes wiederaufgebaut. Das funktioniert mit einer Spezialknete, die Oscar Nilsson erhitzt, bevor er sie formen kann, wie er möchte. Jeder Muskel hat an Avgis Schädel einen bestimmten Platz. Auch wo ein Muskel beginnt und endet, ist ganz besonders. Das alles muss Oscar Nilsson bei der Gesichtsrekonstruktion beachten. Alle Muskeln und Sehnen formen zusammen später das Gesicht und bestimmen, wie eine Person aussieht.

Haut formen

Als nächstes formt Oscar Nilsson die Gesichtshaut. Wie bei jedem Schritt muss der Schwede auch hierbei auf ganz kleine Details achtgeben. „All die kleinen Falten, die Erhebungen der Haut und die Poren sorgen für ein höchst realistisches Gesicht“, sagt Nilsson. Du kannst jetzt schon ein richtiges Gesicht erkennen. Und das sieht irgendwie hart aus oder? „Avgi hat einen ziemlich männlichen und einzigartigen Schädel“, sagt Oscar Nilsson dazu. „Vielleicht nicht schön, aber besonders, das gefällt mir.“

Farbe und Haare

Das Gesicht wird dann in Silikon gegossen. „Der Stoff sorgt dafür, dass die Haut lebendig und realistisch aussieht“, sagt Oscar Nilsson. Die Silikonhaut wird dann noch gefärbt, damit das Gesicht richtig echt wirkt. Und echte menschliche Haare bekommt Avgi auch noch. „Das wird mit einem Spezialwerkzeug in das Silikon gesteckt“, sagt Oscar Nilsson. Dass alles echt aussieht, ist im sehr wichtig: „Ich möchte, dass die Menschen etwas besonderes fühlen, wenn sie das rekonstruierte Gesicht sehen.“

Von Hendrik Geisler