Niemals Sitzenbleiben

Niemals Sitzenbleiben
Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Von rechts aus der Werkstatt hämmert und klopft es. Und von der anderen Seite des Schulhofs dringen Flötenklänge aus einem Fenster. Die fünfte Stunde der Waldorfschule Köln in Chorweiler klingt anders als in gewöhnlichen Grund- oder weiterführenden Schulen. Aber ist die Waldorfschule insgesamt so anders als eine „normale“ Schule?

Rudolf Steiner (1861-1925). Foto: dpa

Eine Schule für alle

Heute vor 100 Jahren gründete Rudolf Steiner zusammen mit Emil Molt die erste Waldorfschule in Stuttgart. Emil Molt besaß eine Zigarettenfabrik und die Schule war speziell für die Kinder der Fabrikarbeiter gedacht. Auf der neuen Schule war es egal, wo die Kinder herkamen oder welchen Beruf ihre Eltern hatten. Die Hauptsache war: Sie lernten zusammen. 1921 wurde übrigens in Köln die weltweit zweite Waldorfschule eröffnet.

Fördern und entwickeln

In „normalen“ Grund-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie in Gymnasien gilt das Prinzip der sogenannten Auslese. Das bedeutet: Schüler und Schülerinnen, die besonders gut sind, bekommen gute Noten und werden in die nächste Klasse versetzt. Schüler, die nicht so gut sind, bekommen schlechtere Noten und bleiben eventuell sogar sitzen. Das ist in Waldorfschulen anders: Jeder Schüler und jede Schülerin wird gefördert – solange, bis das Fach sitzt. „Wir schauen, was das Kind für seine Entwicklung braucht“, erklärt Waldorf-Lehrer Markus Schulze. Es gehe nicht darum, was die Gesellschaft braucht, sondern was gut für das Kind ist.

Alle Abschlüsse möglich

Deswegen ist eine Besonderheit auf einer Waldorfschule: Kinder können nicht Sitzenbleiben. Trotzdem gilt: Je besser ein Kind ist, desto eher schafft es einen höheren Abschluss – auf einer Waldorfschule kann man nämlich Haupt- und Realschulabschluss machen und auch Abitur.

Die Fächer

Auf Waldorfschulen lernen Schülerinnen und Schüler aber nicht nur Mathe, Englisch und Chemie. Das Besondere an den Schulen ist, dass großer Wert auf Unterricht in Kunst und Handwerken gelegt wird. Das bedeutet, dass auf dem Stundenplan zum Beispiel folgende Fächer stehen: Gartenbau, Schreinern und Steinmetzen. In der Kölner Waldorfschule gibt es deshalb einen riesigen Garten, in dem Beete mit Zierpflanzen angelegt sind, aber auch Beete für Gemüse. Zwischendrin stehen Insektenhotels herum. Außerdem gibt es eine große Schreinerei, in der die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel kleine Holzboote schnitzen.

Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Die Kunst der Bewegung

Ein außergewöhnliches Schulfach, das es nur an Waldorfschulen gibt, ist die sogenannte Eurythmie. Das Vorurteil gegenüber Waldorfschülern, sie könnten ihren Namen tanzen, stammt von diesem Fach. Tatsächlich ist es so, dass die Eurythmie eine Bewegungskunst ist, die Musik mit Sprache und Bewegung verbindet. So lernen die Kinder zum Beispiel, Buchstaben mit Bewegungen zu verbinden. Dass sie ihren Namen tanzen, ist aber kein Lernziel.

Konzentration auf ein Thema

Kinder auf einer Waldorfschule lernen Mathe, Geschichte und Deutsch aber auch etwas anders – und zwar in Epochen. Das bedeutet: Drei bis vier Wochen lang beschäftigt sich eine Klasse jeden Morgen intensiv mit einem Thema, zum Beispiel in Mathe. Diese konzentrierten Stunden in wenigen Wochen entsprechen den Stunden, die sonst über ein ganzes Jahr verteilt sind.

Von Jennifer Wagner