Hören mit den Augen

Gebärdensprache statt Worte: Eine Dolmetscherin erklärt, wie das funktioniert
Nicht jeder Mensch kann hören. Und doch kann man sich auch mit Menschen unterhalten, die gehörlos sind. Momentan läuft etwa die lit.kid.Cologne. Da lesen Autorinnen und Autoren Kindern und Jugendlichen ihre Bücher vor. Bei einigen Lesungen stehen am Bühnenrand Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die das Vorgelesene in sogenannte Gebärdensprache übersetzen. „Das ist schon anstrengend“, sagt Asta Limbach, die seit Langem als Dolmetscherin für Gebärdensprache arbeitet. „Sobald eine Veranstaltung länger als eine Stunde dauert, übersetzen wir zu zweit, sodass wir uns abwechseln können.“
Was sind Gebärdensprachen?
In unserer gesprochenen Sprache sagen wir ein Wort nach dem anderen. Benutzt man Gebärdensprache, passieren mehrere Dinge gleichzeitig. „Rund um unseren Oberkörper bauen wir eine Art kleine Bühne auf“, so beschreibt es Asta Limbach. Ähnlich wie beim Kasperletheater – aber man stellt sich die Bühne nur vor. Statt zu reden machen die Dolmetschenden Gebärden, und dazu arbeiten sie gleichzeitig mit Händen, Körperhaltung und Mimik, also den Gesichtsmuskeln. Wie das zum Beispiel mit der Mimik geht? Um zu zeigen, dass sie eine Frage stellt, zieht sie die Augenbrauen hoch. Und das mit der Körperhaltung? „Wenn ein Erwachsener zu einem Kind spricht, schaut man von oben nach unten herab.“ Manchmal reicht eine Bewegung, um einen ganzen Satz zu sagen. Für „Ich gehe nach Hause“ führt Asta Limbach Daumen und Zeigefinger zusammen und bewegt sie weg von ihrem Körper.
Die Deutsche Gebärdensprache
Ungefähr 200.000 Menschen beherrschen die Deutsche Gebärdensprache. Das sind Gehörlose, ihre Angehörigen und Partner, Freundinnen und Freunde sowie Dolmetschende. Es gibt aber noch viele andere Arten von Gebärdensprachen auf der Welt, sagt Asta Limbach: „Quasi jedes Land hat eine eigene.“ Viele Gebärdensprachen sind grundsätzlich ähnlich aufgebaut, es gibt gewisse Ähnlichkeiten in der Grammatik. Die einzelnen Zeichen jedoch sind sehr unterschiedlich. Selbst innerhalb von Deutschland gibt es Unterschiede zwischen den Regionen. „Als ich angefangen habe, hatte ich Schwierigkeiten, die Gehörlosen aus Bayern zu verstehen“, erinnert sich Asta Limbach.
Sprache im Wandel
Sprache verändert sich, das gilt auch für die Gebärdensprache. Immer wieder kommen neue Gebärden dazu. „Das Zeichen für Corona musste neu erfunden werden“, erzählt Asta Limbach, Wenn es noch keine Gebärde gibt, lassen sich Worte auch buchstabieren. Es gibt ein Fingeralphabet, mit dem jeder Buchstabe einzeln zu übersetzen ist. Politikernamen etwa werden erst einmal buchstabiert. Werden die Politikerinnen und Politiker dann bekannter, entstehen langsam spezielle Namensgebärden. Über die sozialen Medien macht die Gemeinschaft der Gehörlosen unterschiedliche Vorschläge. „Bei Außenministerin Annalena Baerbock ist man sich schon einig“, sagt Asta Limbach: Für sie werden mit den Fingern Ohrringe angedeutet. „Bei Bundeskanzler Olaf Scholz gibt es noch verschiedene Versionen.“ Am häufigsten verwendet wird eine Geste, die den knappen Haarrest auf seinem Kopf andeutet.
Köln gibt es gleich zweimal
Natürlich hat auch Köln eine Gebärde – eigentlich sogar zwei. Menschen, die nicht aus Köln sind, machen die Domtürme nach: indem sie die Hände geöffnet nebeneinander halten, nach oben ziehen und dabei schließen. Die „echten Kölschen“ aber deuten eine Narrenkappe an, eine Mütze, die für den Karneval steht. Bei der Gebärde ziehen sie sich die Narrenkappe vom Kopf. Ein Buch stellt man dar, indem man die Hände zusammenlegt und dann aufklappt – eben wie ein Buch. Für eine Zeitung tut man so, als würde man eine Zeitung auseinanderfalten. Mit deiner Duda-Kinderzeitung kannst Du das ja mal ausprobieren. Apropos: Um Duda auszudrücken, muss man nur auf das Gegenüber zeigen: Hey, Du da!
Die Expertin
Asta Limbach arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Dolmetscherin für die Gebärdensprache. Heute kann man das studieren oder in einer Ausbildung lernen. Früher ging das noch nicht. Sie hat die Sprache in einer Kneipe gelernt – indem sie einen Stammtisch für gehörlose Menschen besuchte und ihnen die Gebärden abschaute. Eine offizielle Prüfung hat Asta Limbach erst später abgelegt. Sie ist Mitinhaberin einer Kölner Firma mit dem Namen „Loor Ens“. Das ist Kölsch für „Schau mal“. 30 Leute arbeiten hier, unter anderem dolmetschen sie bei Arztbesuchen oder Gerichtsterminen. Sie dolmetschen auch fürs Fernsehen (etwa die Sendung mit der Maus, ARD-Mediathek) und für große Kölner Kulturveranstaltungen wie das Literaturfest lit.Cologne und ihren Ableger für Kinder und Jugendliche, die lit.kid.Cologne.
Von Markus Düppengießer