Raghads geheimes Versteck

Raghads geheimes Versteck
Raghad ist zehn. Im Unterricht lernt sie drei Sprachen. (Foto: dpa)

Raghad ist ein Mädchen aus Syrien, das vor einem Krieg geflohen ist. Jetzt lebt Raghad im Land Türkei, zusammen mit anderen Kindern. Sie spielt gern Verstecken und ist sehr schlau. Und sie hat ein Geheimnis…

Erinnerung ans Planschbecken

Raghad ist vor dem Krieg in Syrien in die Türkei geflohen. (Foto: dpa)

Raghad ist vor dem Krieg in Syrien in die Türkei geflohen. (Foto: dpa)

Raghad ist zehn Jahre alt und denkt gern an früher. An damals, als in ihrem Heimatland Syrien noch kein Krieg war. Raghad wohnte mit ihrer Familie in der Stadt Hama. Am liebsten erinnert sie sich daran: „Wir hatten ein Planschbecken auf dem Balkon, in dem mein Vater mit mir und meinem Bruder gespielt hat.”

Doch Raghads Vater ist im Krieg gestorben. Vor drei Jahren floh Raghad deswegen mit ihrer Mutter und zwei Brüdern in das Nachbarland Türkei.

Heute wohnt Raghad in der türkischen Stadt Gaziantep. Viele Syrer sind dorthin gekommen, weil sie da keine Angst haben müssen zu sterben. Raghad lebt mit ihrer Mutter und den beiden Brüdern in einem Heim für Kinder, die keinen Vater oder gar keine Eltern mehr haben. Sie sagt, sie mag die Türkei. Aber nicht so gern wie Syrien.

Raghad will Anwältin werden

Raghad lernt sehr viel, weil sie einmal Anwältin werden möchte. Sie will Menschen vor Gericht verteidigen, denen Unrecht getan wurde. „Ich stehe um fünf Uhr auf”, sagt Raghad. Erst betet sie. Sie ist wie die meisten Syrer Muslimin. Dann zieht sie ihre Schuluniform an. Um sieben Uhr gibt es Frühstück in dem Heim, in dem ihre Familie ein Zimmer hat. Raghad teilt sich ihr Bett mit einem Bruder. Ihre Mutter sagt, dass die Familie seit der Flucht nichts mehr besitzt.

Nach dem Frühstück geht Raghad in eine Schule, in der nur syrische Kinder sind. Sie sind wie sie geflohen. Der Unterricht ist auf Arabisch. Das ist die Sprache, die in Syrien gesprochen wird. Viele syrische Kinder in Gaziantep können gar nicht zur Schule gehen. Sie müssen zum Beispiel in Nähereien arbeiten, weil ihre Eltern so arm sind. Nach der Schule lernt Raghad in ihrem Heim weiter: Dort gibt es nach dem Mittagessen noch Englisch- und Türkisch-Unterricht.

Viele Verwandte sind tot oder krank

Abdulrasak lebt mit seiner Familie in demselben Heim wie Raghad. (Foto: dpa)

Abdulrasak lebt mit seiner Familie in demselben Heim wie Raghad. (Foto: dpa)

Abdulrasak ist auch zehn Jahre alt. Er floh zur gleichen Zeit aus Syrien wie Raghad. Er will einmal Arzt werden und Menschen heilen. Denn er hat gesehen, wie sein Vater im Krieg verwundet wurde. Inzwischen ist der Vater tot. Abdulrasak lebt mit seiner Mutter und neun Geschwistern in dem Heim. Ein Bruder hat Blutkrebs. Das ist eine schlimme Krankheit. Die Mutter sagt: „Mein Schmerz ist sehr groß.”

Abdulrasak sagt, auch er lerne fleißig. Aber die Erzieherinnen in dem Heim, die ebenfalls aus Syrien geflohen sind, zwinkern, als er das erzählt. Sie sagen: Sie müssten den Jungen meist erst suchen, wenn er sich an den Schreibtisch setzen soll, weil er lieber spielt.

Abdulrasak spielt zum Beispiel Verstecken mit Raghad, die beiden sind Freunde. Ganz in der Nähe gibt es einen Spielplatz, wo Zehnjährige hindürfen, wenn ältere Kinder sie begleiten. Vor dem Heim gibt es einen Hof, auf dem die Kinder auch herumtollen können.

Abdulrasak sagt, sein Lieblingsversteck sei auf einem Baum, auf den er klettern kann. Jetzt lachen die Erzieherinnen ganz laut. Abdulrasak hat nämlich aus Versehen verraten, wo sie ihn finden können, wenn er sich wieder vor dem Lernen drücken will.

Geheimes Versteck hinter dem Sofa

Raghad spielt auch gern Verstecken. Sie sagt, ihr Lieblingsversteck sei hinter einem alten Sofa auf dem Hof. Erst will sie zeigen, wo das genau ist. Nach einigem Nachdenken überlegt sie es sich aber doch anders. „Ich will, dass es mein Geheimnis bleibt”, sagt das Mädchen. Denn wenn jeder in der Zeitung nachlesen könnte, wo Raghads Lieblingsversteck ist, dann wäre es ja kein richtiges Versteck mehr.

Von dpa