Weihnachtsgeschichte 4: Es duftet nach Tannenbaum

Weihnachtsgeschichte 4: Es duftet nach Tannenbaum
Weihnachten ist da! (Illustration: Katrin Stangl)

Pünktlich zu Heiligabend: Heute endet unsere Weihnachtsgeschichte „Hundert Tage Schnee. Die Kölner Autorin Ute Wegmann hat sie nur für unsere Leser geschrieben. Viel Spaß damit! Die anderen Folgen findest du weiter unten.

Morgen ist Heiligabend. Morgen wollen wir einen großen Weihnachtsbaum besorgen. Mela und ich haben alles andere heimlich eingekauft, liegt unterm Bett. Meine Schwester hat einen ganzen Eimer Kartoffelsalat und statt Würstchen Forellenfilets bei den Keliciks untergestellt und gesagt, unser Kühlschrank wäre zu voll.

Ich habe meine Geschenke verpackt: Für Sinan ein Fußballtrikot, das mir zu klein ist und für Farihas Bruder Playmobil-Männchen.

Jetzt gehe ich zum Chlodwigplatz, um mir die Bäume anzuschauen.

„Na junger Mann, op dä lätzte Drücker?“

„Ähm, morgen ist doch erst Weihnachten!“

„Murje is Sundach, da simmer zohuus!“ Sonntag? Oh nein, so ein Mist.

„Wie teuer ist eine Tanne?

„Hee, luur eens, Blautanne, pickst nicht!“ Er spricht jetzt Hochdeutsch: „Supersonderpreis € 48,-.“

„Was? Wie viel?“

„Okay, mir maache dat anders: Wie viel haste denn?“

Noch gar nichts, denke ich, und sage: „Zwanzig Euro.“

Der Mann guckt mich mitleidig an. Von weit oben. Er ist sehr groß. Dann stapft er in seinen Fellstiefeln davon. Ich will schon gehen, da taucht er wieder auf, in der Hand eine Tanne, klein und krumm.

„Die hier, die hat et schwer, dat Kleen es nitt su perfekt, die jevv ich dir für 15!“

„Wirklich? Bis wann muss ich die abholen?“

„Um sibbe Uhr sinn mer fott. Und bring Handschuh mit und dinge Papp, zum Drage.“ Er schreibt ein Reserviert-Schild.

Glück, denke ich. Aber fünfzehn Euro? Ich rufe Mela an. Anrufbeantworter. Ich schicke eine Nachricht. Die Häkchen werden nicht blau. Es wird immer später. Endlich klingelt es.

„Hi, Flossi-Bär, biste aufgeregt?“

Ich erzähle, dass wir den Baum kaufen müssen wegen des blöden Sonntags. „Shit, ich komme sofort.“ Sofort bedeutet bei Mela irgendwann.

Und irgendwann drehe ich durch: Es ist zehn nach Sechs. Um halb Sieben taucht sie auf, das Geld für den Baum legt sie auf den Tisch. So ist Mela. Wir rasen los. Da steht die Tanne, ganz allein.

„Wow, ist die hässlich!“

„Die ist billig!“

Wir schleppen den Baum in den Vorgarten unter die Hecke.

An dem Abend kann ich nicht einschlafen, obwohl Oma schon angereist ist und mir vorliest. Wie früher.

Heiligabend ist da!

„Kommt, Spaziergang im Wald!“ Meine Mutter ist sehr begeistert von ihrer Idee, Papa hat keine Chance. „Gegen Fünf sind wir zurück“, rufen sie aus dem Treppenhaus, Oma im Schlepptau. Kaum sind sie abgefahren, laufen wir in den Vorgarten. Mit Handschuhen.

Baum in den Ständer, Kerzenhalter anklemmen, Kerzen einstecken, Kugeln, Engel und Esel und Vögel aufhängen. Lametta!

Tisch ausziehen, weiße Decke, vierzehn Teller, Besteck und Gläser. Weihnachtsteller und Geschenke unter den Baum. Tür zu.

Um zehn nach Fünf parkt der Wagen vor der Haustür. Mit roten Wangen hängen die drei ihre Mäntel auf.

Meine Mutter schnuppert in die Luft. „Verrückt!“, sagt sie. „Man ist so auf Weihnachten eingestellt, dass man denkt, es riecht überall nach Tannenbaum.“

In mir drin zittert mein Zwerchfell. Wir beißen auf unsere Lippen und schweigen. Sie gehen alle drei in die Küche.

Um sechs Uhr klingelt es an der Tür. „Wer ist das?“, fragt Mama in den Flur. Vor der Tür stehen die Keliciks mit unserem Kartoffelsalateimer. Herr Kelicik trägt eine riesige Silberplatte mit Weinblättern, gegrillten Auberginen und Fleischbällchen mit Granatapfelkernsoße.

„Danke für die Einladung“, sagt er.

„Oh!“, sagen Mama und Papa und grinsen verstört freundlich, „kommen Sie herein!“

Da klingelt es zum zweiten Mal. Meine Eltern schauen sich an. Sie schauen uns an. Mela öffnet. Fariha umarmt sie. „Wir freuen uns so. Wir waren noch nie an einem hohen Festtag bei einer fremden Familie eingeladen.“

Im Hausflur stehen die Geschwister neben Farihas Eltern, alle tragen Schüsseln mit Pasten und Gemüse. Wir knubbeln uns im Eingang. Mela drückt die Klinke der Wohnzimmertür hinunter.

Ich habe keine Ahnung, wie sie es geschafft hat, die Kerzen anzuzünden. Es sieht wunderschön aus und duftet nach Tanne, Orangen und Schokolade.

Wir reden, essen, lachen, trinken und dann ruft meine Schwester: „Bescherung!“ Ich werde blass.

„Mela?“, flüstere ich, „ich hab vergessen, dein Geschenk zu kaufen.“

„Glaubst du vielleicht, ich hätte eins für dich, Flossi-Bär?“ Sie lächelt.

Ich grinse und denke: Ich hab das Schaf echt gern.

„Ich hab dich auch gern, Flossi-Bär-Bruder!“, flüstert sie.

Gut, dass sie nicht alle Wörter in meinen Gedanken gelesen hat!

Und meine Eltern? Wer kann schon in ihre Köpfe gucken?

Frohe Weihnachten euch allen und hoffentlich hundert Tage Schnee.

Von Ute Wegmann (Text) und Katrin Stangl (Illustration)

Hier liest du die anderen Teile unserer Weihnachtsgeschichte:

Teil 1: Keine Sterne, keine Geschenke Teil 2: Die Wunschliste Teil 3: Flauschige Flocken fallen