Weihnachtsgeschichte 1: Keine Sterne, keine Geschenke!

Weihnachtsgeschichte 1: Keine Sterne, keine Geschenke!
Vlatkos Mutter überbringt beim Frühstück schlechte Nachrichten. (Illustration: Ute Stangl)

Die Kölner Autorin Ute Wegmann hat extra für Dudas Leser eine Weihnachtsgeschichte erfunden. Sie erscheint in vier Teilen. Heute: Teil 1, in dem zwei Kinder schreckliche Nachrichten erhalten!

Heute ist der 30. November, Donnerstag, dunkelgrau feucht, der Namenstag meines Onkels. Heiliger Andreas! Jedes Jahr sagt er: Wenn es an Andreas schneit, der Schnee hundert Tage liegen bleibt. Den ganzen Tag hoffe ich auf Andreas-Schnee. Stattdessen Regen, Regen, Regen.

Normalerweise hängen am Andreastag die roten Adventskalender-Säckchen schon leer an einer Kordel in der Küche, heute fehlen sie. Abends im Bett denke ich: Vlatko, bleib locker, sie hat noch zwölf Stunden Zeit. Sie kann alle süßen Schokoteile verpacken oder Gutscheine schreiben, während du schläfst.

Allerdings muss sie alles doppelt machen. Für mich und für meine Schwester. Meine ältere Schwester. Sie ist 12. „Ich bin dreizehn,“ sagt sie, wenn jemand fragt, und dann klimpert sie mit ihren Wimpern, schiebt ein Kaugummi von links nach rechts und zurück.

Sobald sie mich sieht, verdreht sie die Augen wie ein Schaf kurz vor der Ohnmacht. Mit dem Schaf, das meine ich nicht beleidigend, sondern wegen ihrer Locken. Ein schwarzes Schaf.

Oh, nein, sie ist wirklich hübsch, aber eben meine Schwester. Sie weiß alles besser, und ich glaube, sie hat diese komische Gabe von Tante Luzi: Sie kann Gedanken lesen.

Am nächsten Morgen, erster Dezember, sagt sie, Zahnbürste zwischen den Zähnen, während Zahnpastaspucke an ihrem Kinn herunterläuft: „He, Flossi-Bär, dieses Jahr kannste Weihnachten vergessen. Findet nicht statt. Haben die gestern beschlossen, hab’s gehört!“

Ich starre auf ihren weißen Kinnbart. „Ich heiße Vlatko!“

„Ja, Flossi-Vollpfosten, trotzdem ist es so: Keine Sterne. Keine Geschenke. Kein Weihnachtsbaum. Kein Adventskalender.“

„Glaub ich nicht!“, antworte ich.

„Wetten wir? Hm? Und wenn ich gewinne, tauschen wir Zimmer?“

„Zimmer tauschen?“ Mir bleibt trotz Zahnpasta die Spucke weg. Mela spinnt. Niemals kriegt sie mein Zimmer mit dem Blick aufs Fortuna-Stadion. Ich kann hier umsonst Fußballspiele angucken.

Ich gehe in die Küche. Meine Mutter schneidet gerade einen Apfel ins Müsli. Ich starre auf die leere Wand. „Alles in Ordnung?“, fragt sie.

Ich fange an, Müsli zu löffeln. Mela setzt sich neben mich, wippt mit Kopf und Fuß. „Kopfhörer raus!“ Meine Mutter kann sehr streng gucken. Das Schaf verdreht die Augen.

Kein Weihnachten? Das kommt für Vlatko und Mela nicht in Frage. (Illustration: Ute Stangl)

„Heute ist der 1. Dezember!“, versuche ich es. Vielleicht hat sie nur vergessen, die Säckchen aufzuhängen.

„Ach, stimmt. Wir haben noch gar nicht drüber gesprochen. Dieses Jahr wollen wir kein Weihnachten feiern: Keine Sterne. Keine Geschenke. Kein Weihnachtsbaum. Kein Adventskalender.“

Ich schaue zu Mela, sie rührt die Cornflakes um. „Warum?“, frage ich und kann es nicht glauben.

„Wir sind der Meinung, dass es uns sehr gut geht, und wir haben alles, was wir brauchen. Wir möchten lieber das Geld spenden. Außerdem, dieser ständige Dauerkonsum!“

Ich höre nur alles haben, Geld spenden, Dauerkonsum. Und das Longboard, das ich mir gewünscht habe? Und Melas Plattenspieler? Und die CD und das Buch, das wir schon für Papa gekauft haben? Und der Kinogutschein mit Getränk für Mama und ihre beste Freundin?

Unter dem Tisch treffen sich Melas linker und mein rechter Fuß.

Ausnahmsweise sind wir einer Meinung: Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wir feiern Weihnachten!

Von Ute Wegmann (Text) und Katrin Stangl (Illustration)

Wie es weitergeht mit Vlatko, Mela und ihren Weihnachtsplanungen, erfährst du am nächsten Adventswochenende an dieser Stelle.

Hier liest du die anderen Teile unserer Weihnachtsgeschichte:

Teil 2: Die Wunschliste