So ist mein Leben als Zirkuskind im Roncalli

Justin ist Artist im Zirkus Roncalli und lebt hier mit seiner Familie. (Foto: Rako)
Justin ist Artist im Zirkus Roncalli und lebt hier mit seiner Familie. (Foto: Rako)

Mitten in der Manege klettert Justin Philadelphia eine Eisenstange hinauf. Flink wie ein kleiner Affe zieht er sich mit den Armen hoch, um sich nur wenige Augenblicke später mit atemberaubender Geschwindigkeit kopfüber hinunter fallen zu lassen – nur ein paar Zentimeter über dem Boden hält er an. Das Publikum im Zirkus Roncalli belohnt ihn mit tosendem Applaus. Der Auftritt am Tag der offenen Tür in Köln ist für Justin ein Höhepunkt im Jahr. Der Elfjährige ist nämlich ein Zirkuskind und darf nur ausnahmsweise auftreten. Duda zeigt dir, wie das ist, in einem Zirkus aufzuwachsen.

Eine Familie voller Artisten

Die ganze Familie von Justin reist mit dem Zirkus durch Deutschland. (Foto: Rako)

Die ganze Familie von Justin reist mit dem Zirkus durch Deutschland. (Foto: Rako)

Justin Philadelphia ist eines von zehn Kindern, die im Zirkus Roncalli leben. Seine Familie ist seit ganz langer Zeit im Zirkusgeschäft. Alles fing an mit Jacob Meyer. Er kam 1757 aus Amerika nach Europa – das ist 261 Jahre her! Jacob Meyer ließ damals seinen Namen ändern – in Jacob Philadelphia. In dieser amerikanischen Stadt wurde er nämlich geboren. So eine Namensänderung nennt man „Künstlernamen“. Jacob Philadelphia war ein berühmter Zauberer und auch seine Kinder haben immer im Zirkus gearbeitet. Und so lebt auch sein jüngster Nachfahre Justin seit seiner Geburt im Zirkus und möchte später Artist werden.

Justins Vater, Patrick Philadelphia, ist übrigens Betriebsleiter im Zirkus Roncalli: Er organisiert die Vorstellungen und kontrolliert in jeder Stadt, wie die Zirkuswagen aufgebaut werden können. Geboren wurde Justins Papa in einem anderen Zirkus: dem Circus Krone. Seitdem wollte er immer mithelfen, die Wagen von einer Stadt zur nächsten zu transportieren. Justins Mutter Eliza ist Artistin. In ihre Fußstapfen ist bereits Justins Schwester Geraldine getreten. Sie ist 22 Jahre alt und arbeitet im Moment im Zirkus Nemo im Land Dänemark. Dort wirbelt sie bis zu sechs Hula-Hoop-Reifen gleichzeitig durch die Luft.

Eine Schule nur für Zirkuskinder

Im Zirkuszelt immer zu Hause: Justin. (Foto: Rako)

Im Zirkuszelt immer zu Hause: Justin. (Foto: Rako)

Doch so ein Leben im Zirkus verläuft etwas anders als bei anderen Kindern. Justin und die anderen Leute vom Zirkus Roncalli wechseln ungefähr alle sechs Wochen die Stadt – immer dann, wenn der Zirkus woanders sein Quartier aufschlägt. Deshalb kann Justin nicht jeden Tag in eine normale Schule gehen. Stattdessen wird er im „Schulwagen“ unterrichtet. Das ist eine Art Wohnwagen.

In jeder Stadt kommt ein anderer Lehrer zu Justin und den anderen Kindern und unterrichtet sie im „Schulwagen“. Da die Kinder unterschiedlich alt sind, lernen sie nicht alle dasselbe. Jeder bekommt speziell auf seinen Wissensstand ausgearbeitete Aufgaben, die sie auch am Samstag abarbeiten müssen. Die Schüler müssen nämlich von Dienstag bis Samstag in die Schule. Sonntag und Montag haben sie frei, weil ihre Eltern montags nicht arbeiten.

Nur drei Stunden Unterricht am Tag

Alle 120 Mitarbeiter des Zirkus - darunter 25 Artisten - wohnen so wie Justin in einem Wohnwagen. (Foto: Rako)

Alle 120 Mitarbeiter des Zirkus – darunter 25 Artisten – wohnen so wie Justin in einem Wohnwagen. (Foto: Rako)

Justin geht übrigens nur etwa drei Stunden pro Tag zur Schule. Das liegt daran, dass sich die Lehrer nur auf ihn und die wenigen anderen Zirkuskinder konzentrieren können. Deshalb sind sie schneller fertig mit dem Lernstoff. Im Winter geht Justin außerdem in eine normale Schule in Burscheid – einer Stadt im Bergischen Land. Seine Eltern besitzen dort ein Haus und wenn der Zirkus im Winter für etwa zwei Monate eine Pause macht, leben sie dort. Dann geht Justin mit seinen Freunden eine Weile zusammen zur Schule. Für ihn ist diese Abwechslung gar nicht so besonders: „Das ist ganz normal für mich“, sagt er. Justin kennt es nicht anders – auch wenn er manchmal seine Freunde in Burscheid vermisst.

Ein Artist braucht Training

Ist für Justin das Größte: Turnen an der Polestange. (Foto: Rako)

Ist für Justin das Größte: Turnen an der Polestange. (Foto: Rako)

Wenn Justin genug im „Schulwagen“ gelernt hat, geht es an seine Lieblingsbeschäftigung: Zirkustraining. Er hat sich für die Pole-Stange entschieden – eine Eisenstange, an der er Kunststücke aufführt. Daran trainiert er fast jeden Tag. Wenn er fertig ist und zum Beispiel in seinem Zimmer spielen will, muss er nicht weit gehen: Das ist nämlich in einem Wohnwagen, der direkt am Zirkuszelt steht.

Alle 120 Mitarbeiter des Zirkus – darunter 25 Artisten – wohnen so wie Justin in einem Wohnwagen und reisen ganz flexibel mit dem Zirkus von Stadt zu Stadt. Die ganzen Wagen werden übrigens meistens per Zug transportiert. Justins Lieblingsstopp ist Wien – die Hauptstadt von Österreich. „Dort fahre ich gern Longboard rund um den Zirkusplatz oder im Park“, sagt Justin kurz vor seinem Auftritt in Köln. Und dann geht es für ihn auch schon los: Warmmachen und dann ab in die Manege!

Von Jennifer Wagner

 

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