Was an Märchen so faszinierend ist

Die Hexe lockt Hensel und Gretel in ihr Haus. (Illustration: Heidelbach)
Die Hexe lockt Hensel und Gretel in ihr Haus. (Illustration: Heidelbach)

Nikolaus Heidelbach ist Autor und Zeichner. Er verrät im Interview, was ihn an Märchen fasziniert.

Herr Heidelbach, haben Ihnen Märchen schon immer gefallen?

Ein Bild zu dem Märchen „Hänsel und Gretel", gemalt von Nikolaus Heidelbach. (Illustration: Heidelbach)

Ein Bild zu dem Märchen „Hänsel und Gretel”, gemalt von Nikolaus Heidelbach. (Illustration: Heidelbach)

Ja, ich habe Märchen schon als Kind sehr gemocht. Das hat auch viel mit meiner Mutter zu tun. Sie hat uns Märchen vorgelesen, oft aber auch erzählt. Daran erinnere ich mich noch am besten. Sie hat das mit ihren eigenen Worten getan, aber trotzdem die Grausamkeiten nicht ausgelassen. Ich weiß noch genau, wie sie von Ali Baba erzählt hat und der klugen Frau, die die Räuber mit heißem Öl übergossen – und so getötet hat.

Viele Märchen sind brutal. Sind sie nicht zu grausam für Kinder?

Kinder können sehr wohl unterscheiden, ob etwas ein Buch oder die Wirklichkeit ist. Das vergessen viele Erwachsene. Und dass die Welt brutal sein kann, erfahren Kinder früher oder später sowieso. Das Gute an Märchen ist, dass es hier nicht um den echten Schrecken geht. Die Grausamkeiten sind in eine Geschichte eingebettet – und man kann sich damit schon einmal beschäftigen.

Die meisten Märchen sind viele hundert Jahre alt. Was kann man heute noch von ihnen lernen?

In Märchen werden Grundsituationen beschrieben, die auch heute noch gültig sind. Zum Beispiel, was Glück, Schicksal und Reichtum ist. Oder es geht um die Beziehung zwischen Kindern und Eltern oder zwischen Geschwistern. Oft gibt es eine böse Stiefmutter. Wenn Kinder solche Märchen vorgelesen bekommen, können sie danach gut darüber diskutieren. Stimmt es, dass Stiefmütter böse sind? Märchen regen zum Nachdenken an.

Sie illustrieren nicht nur Märchen, sondern auch andere Geschichten. Was ist besonders an Märchen?

Rapunzel, gezeichnet von Nikolaus Heidelbach. (Illustration: Heidelbach)

Rapunzel, gezeichnet von Nikolaus Heidelbach. (Illustration: Heidelbach)

Das ist eine fremde Welt. Manche Illustratoren malen die ganz bonbonfarben. Aber so viel Kitsch steckt in den Märchen gar nicht drin. Die Zwerge in „Schneewittchen“ sind einfach Zwerge – und sonst nichts. Wenn man genau liest, entdeckt man auch, dass viele Sachen realistisch beschrieben sind: wie man Essen zubereitet oder Holz fällt. Das möchte ich glaubhaft zeichnen.

Verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen?

Rumpelstilzchen. Das mochte ich schon als Kind am liebsten. Allerdings habe ich mich auch immer aufgeregt. Ich war nämlich der Meinung, dass eigentlich Rumpelstilzchen das Kind hätte bekommen sollen, schließlich hat es dafür gearbeitet. Mir gefällt aber auch die Idee eines Rumpelstilzchens: Jeder wünscht sich doch manchmal so ein Männchen, das einem bei der Arbeit hilft. Und einen Satz aus dem Märchen mag ich ganz besonders: Etwas Lebendiges ist mir lieber als alle Schätze der Welt.

Das Gespräch führte Angela Sommersberg

Zur Person

Nikolaus Heidelbach

Nikolaus Heidelbach

Nikolaus Heidelbach (59) ist Illustrator und Autor aus Köln. Er malt seine Bilder  mit Wasserfarbe und Tusche auf Papier. Er hat drei Märchenbücher veröffentlicht: Brüder Grimm, Hans Christian Andersen und Märchen aus aller Welt.  Sein aktuelles Buch „Rosel von Melaten“ ist eine Gespenstergeschichte.