Weihnachtsgeschichte 3: Flauschige Flocken fallen

Weihnachtsgeschichte 3: Flauschige Flocken fallen
Es schneit! (Illustration: Katrin Stangl)

Die Kölner Autorin Ute Wegmann hat extra für Dudas Leser eine Weihnachtsgeschichte erfunden. Sie erscheint in vier Teilen. Heute: Teil 3, in dem Vlatko den ersten Schnee fallen sieht. Die vorangegangenen Teile findest du weiter unten.

Tante Luzi, die Frau vom Andreasonkel, feiert ihren Geburtstag in einem Turm der alten Stadtmauer. Wir steigen Treppe um Treppe nach oben und schwitzen in unseren Wintermänteln. Riesenparty, alle schick angezogen, überall Ballons mit einer 50. Zum Glück hab ich nicht im Dezember Geburtstag, meine Eltern hätten den dieses Jahr ausfallen lassen.

Wir haben genug von allem, behaupten sie. Sie haben keine Ahnung. Es werden doch ständig neue interessante Sachen erfunden. Mela hängt sofort mit meinen Cousinen und Cousins ab. Die Gäste trinken und lachen, und jetzt fangen sie auch noch an zu tanzen. Höllenlärm. „It’s raining men, halleluja“, alle singen mit. Peinlich.

Ich gehe aus dem Saal und steige eine Treppe hoch. Die Stiegen knarren. Der Raum hat rundherum Fenster. Von oben sehe ich auf den Platz mit dem Kreisverkehr und in die Geschäfte. Alle Bäume und Schaufenster leuchten, überall Lichterketten und bunte Sterne. Am Fuß des Turms entdecke ich einen Weihnachtsbaumstand. Mela hat schon den Baumständer und die Kugeln aus dem Keller geholt. Zum Essen soll es Kartoffelsalat mit Würstchen geben.

Meine Schwester hat eine Familie organisiert, ein neues Mädchen aus ihrer Klasse. Fariha hat sich sehr über die Einladung gefreut. Die Keliciks habe ich gefragt, ob sie Heiligabend zuhause sind und uns besuchen möchten. Der kleine Sinan fand das toll. Er bewundert meine Fußballschuhe, mein Autogramm von Podolski und sogar meinen Roller.

Die Idee, alles im Internet zu bestellen, gefällt mir nicht. Wir könnten die Kerzen unten in der Drogerie kaufen, die Makronen in der Bäckerei und im Supermarkt Marzipan. Wir müssen nur unser Geld zusammenwerfen.

Die Holztreppe knarrt. „Vlatko, wir suchen dich seit einer halben Stunde.“ Mein Vater steht in Mantel und Mütze hinter mir. Er legt seine Hand auf meine Schulter.

„Sieht schön aus da draußen!“, sage ich. Er nickt.

Ich weiß, dass er Lichterketten und Weihnachtssterne und Kerzenschein mag und lieber kein guter Mensch wäre. Wir stehen am Fenster und schauen auf die Lichter und den Verkehr. Und auf einmal sehe ich es:

„Da, guck mal!“, rufe ich. „Und da und da und da oben …!“

Dicke flauschige Flocken fallen aus dem Himmel. Zuerst nur einzelne und dann immer mehr. Schade, dass heute nicht Andreastag ist. Dann hätten wir hundert Tage Schnee. Weiße Weihnachten, weißes Silvester, weißes Neujahr, weiße Heilige Drei Könige, weißen Karneval. Karneval im Schnee, das wäre toll, das hatten wir noch nie.

Wir gehen zurück in den Saal. Alle tanzen ganz eng, und Tante Luzi küsst Onkel Andreas auf den Mund. Sie sehen voll verliebt aus. Ich setze mich zu den Cousinen, die auf ihre Handys starren.

„Na, Flossi-Bär“, ruft Mela, „langweilste dich?“

„Nein!“, ich flüstere: „Ich plane Heiligabend.“

Sie hebt beide Daumen. Mal sehen, was sie sagt, wenn sie ihr Feriengeld dazugeben muss.

Eine Stunde später treten wir auf die Straße und sind geblendet. Die Stadt liegt unter einer dicken Schneedecke. Man sieht nur ein paar Fußabdrücke und eine Fahrradspur. Es ist ganz leise. Und sehr gemütlich.

Zuhause erzähle ich Mela meine Ideen und zähle mein Spardosengeld: zwölf Euro. Mela öffnet sehr widerwillig das Glas mit ihren Ferienersparnissen. Wir rechnen, zusammen haben wir 30 Euro. Ich weiß nicht, wie wir das schaffen sollen.

Von Ute Wegmann (Text) und Katrin Stangl (Illustration)

Hier liest du die anderen Teile unserer Weihnachtsgeschichte:

Teil 1: Keine Sterne, keine Geschenke Teil 2: Die Wunschliste