Häuptlinge in Ostfriesland

Häuptlinge in Ostfriesland
Der Kirchturm in Marienhafe in Ostfriesland. Hier sollen ostfriesische Häuptlinge dem Seeräuber Klaus Störtebeker Unterschlupf geboten haben. (Foto: dpa)

Die Füße haben kaum Platz, so schmal sind die Stufen. Die Steintreppe, die auf den Kirchturm in Marienhafe führt, ist extrem eng und steil. Wer hier hochklettert, muss vorsichtig sein und Ausdauer haben. Von oben aus hat man einen weiten Blick über Ostfriesland mit Bauernhöfen, Windmühlen und Feldern. Die Gegend liegt dicht an der Nordsee im Bundesland Niedersachsen und hat eine spannende Vergangenheit.

Hier lebten früher Häuptlinge wie die tom Broks, Beningas oder Ukenas. Sie hatten in Ostfriesland vor rund 600 Jahren das Sagen. Die Männer stammten aus einflussreichen, wohlhabenden Familien und waren in verschiedenen Gebieten die Anführer. „Sie waren untereinander oft heftig zerstritten„, sagt der Fachmann Hajo van Lengen. „Und nicht zimperlich, wenn es darum ging, mehr Macht und Reichtum zu bekommen.“

Mit Seeräubern verbündet

Die Häuptlinge verbündeten sich beispielsweise mit Seeräubern. „Die Häuptlinge konnten gut ein paar Haudegen an ihrer Seite gebrauchen, die ordentlich kämpfen konnten“, erzählt der Experte. „Die Piraten halfen ihnen, wenn sie gegen andere Häuptlinge an Land oder auch auf See kämpften.“ Denn einige Anführer wollten mehr Macht. Sie versuchten, das Gebiet, über das sie herrschten, immer weiter auszudehnen. Notfalls mit Gewalt.

Das Bündnis mit den Seeräubern nützte den Häuptlingen aber nicht nur beim Kämpfen. „Die Häuptlinge bekamen meist auch etwas von der Piratenbeute ab“, erzählt der Fachmann. „Die Waren behielten sie oder verkauften sie teuer weiter, so wie es die Seeräuber taten. Das war ein sehr gutes Geschäft für sie.“ Im Gegenzug gewährten die Häuptlinge den Seeräubern Schutz und Unterschlupf, wenn diese von Soldaten verfolgt wurden.

Ein berühmtes Piraten-Versteck

Der Kirchturm in Marienhafe gilt als das berühmteste Piraten-Versteck in Ostfriesland. Die Häuptlinge Widzeld und Keno tom Brok sollen den berüchtigten Seeräuber Klaus Störtebeker hier über Jahre immer wieder versteckt haben. Der Turm wird darum Störtebekerturm genannt.

Wie das Ganze ablief, ist nicht sicher. „Es gibt kaum Abbildungen und nur wenige Beschreibungen aus der Zeit der Häuptlinge“, sagt Hajo van Lengen. Er lebt in Ostfriesland und hat über die Geschichte geforscht. „Deshalb können wir vieles nur vermuten.“
Fest steht aber: Das Bündnis mit den Piraten ging nicht ewig gut. Kaufleute, die zu einem Bündnis namens Hanse gehörten, ärgerten sich immer mehr über die Seeräuber – und über die Häuptlinge. „Ständig wurden die Schiffe der Kaufleute ausgeraubt – und die Piraten kamen davon. Damit sollte Schluss sein“, sagt Hajo van Lengen.

Häuptlinge kamen glimpflich davon

Nach einigem Hin und Her schickten die Kaufleute jede Menge Soldaten. Bei Kämpfen wurden viele Piraten getötet. Andere nahm man gefangen. Störtebeker kam zunächst davon, wurde später aber doch noch geschnappt – und öffentlich hingerichtet.

Die Häuptlinge kamen dagegen sehr glimpflich davon. Die Kaufleute übernahmen die Kontrolle über wichtige Gebiete Ostfrieslands. Und sie rangen den Häuptlingen ein Versprechen ab: „Die Männer mussten unterschreiben, dass sie die Seeräuber nicht länger schützen“, sagt Hajo van Lengen. Und weil die Hanse so mächtig war, hielten sich die Häuptlinge schließlich daran. Doch der Störtebekerturm erinnert bis heute an das Bündnis mit den Piraten.

Von dpa