Ein Volk ohne Staat

Ein Volk ohne Staat
Auch in Berlin wehen Flaggen mit den kurdischen Nationalfarben (Bild: dpa)

Kaum eine Meldung der vergangenen Wochen kam ohne die Kurden aus. Und schon seit vielen Jahrzehnten ist das Volk, das im Westen  Asiens lebt,  immer wieder Thema in den Nachrichten.  Weil es dort, wo Kurden leben  schon seit Jahrhunderten immer wieder zu Krisen und kriegerischen Konflikten kommt –  vor allem in der Türkei und jetzt wieder in Syrien und im Irak. Warum ist das so?

Verstreut und ohne eigenen Staat – Wo KUrden Leben

Kurden in Syrien und den Nachbarstaaten (Aktualisierung, 8.10.14) (ai-eps)Die meisten Kurden, geschätzte 14 Millionen, leben in der Türkei; jeweils knapp 5 Millionen im Iran und im Irak, und auch in Syrien, Armenien, Aserbaidschan gibt es kurdische Minderheiten. Hunderttausende sind nach Europa ausgewandert oder geflohen. Die Kurden  leben also seit Tausenden von Jahren verstreut in  Westasien – ohne einen eignen Staat. Den hätten viele Kurden natürlich gern. Aber die  Länder, in denen sie leben, geben das Land dafür nicht her. Klar, dass das zu Streit führt. Jedes Volk möchte ein eigenes Gebiet haben, in dem es zum Beispiel bestimmen kann, welche Sprache gesprochen, welche Religion ausgeübt oder  was in den Schulen unterrichtet wird. Aber hatten die Kurden noch nie einen Staat?

Ein umherziehendes Bergvolk

Vor viertausend  Jahren lebten sie in den Bergen Anatoliens, also in dem Teil der heutigen Türkei, der zu Vorderasien gehört. Ein Teil Anatoliens  sowie Teile von Syrien, dem Irak und dem Iran werden auch Kurdistan genannt. Der Name bezeichnet eben dieses  Siedlungsgebiet, in dem ein Großteil der  Kurden  als Nomaden lebten.  Daher stammt auch ihr Name: „Kurd“ hießen im Mittelalter die nicht sesshaften Nomadenstämme, die weder Araber noch Türken waren.  Sie lebten unabhängig von anderen Völkern – bis die  Interesse  zeigten an den Erdöl- und Wasservorräten der Kurden.

Unterdrückt und verfolgt

Weil die Kurden so verstreut  in den schwer erreichbaren Bergregionen lebten,  verteilt auf rund 500 Stämme, konnten sie nur schwer eine Einheit bilden, sich kaum austauschen und  verteidigen  – gegen die benachbarten Völker. Über Jahrhunderte hinweg versuchten Perser (aus dem heutigen Iran), Osmanen (aus der heutigen Türkei), Armenier  und auch europäische Staaten, die Herrschaft über das Kurdengebiet  zu bekommen – und damit über Erdölreserven  und  Wasservorräte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Kurdengebiet zwischen  der Türkei, Syrien, dem Irak und dem Iran aufgeteilt.    In diesen Ländern wurden die Kurden oft unterdrückt und verfolgt. Sie durften nicht ihre eigene Sprache sprechen, nicht ihre Kleidung tragen und erst Recht nicht politisch mitentscheiden.  Viele Jahre lang weigerte sich die Türkei, die Existenz von Kurden überhaupt anzuerkennen und sprach stattdessen von „Bergtürken“. Einige Kurden reagierten darauf  mit Terroranschlägen und kämpften mit Gewalt für einen eigenen Staat.

Und wieder auf der Flucht

Im Norden des Irak konnten die Kurden dagegen seit 1991 in Ruhe leben. Dort wurden ihnen eine Sicherheitszone eingerichtet, wo sie auch eigene politische Entscheidungen treffen konnten.  Autonomiegebiet sagt man dazu. Jetzt werden sie auch dort verfolgt – wegen ihrer Religion.  Die meisten Kurden sind Sunniten. Das ist die größte Gruppe der  Muslime, also der Menschen, die der Religion Islam angehören. Es gibt aber gerade in Nordirak auch viele Kurden mit einer eigenen Religion: die Jesiden. Seit August werden sie als angeblich „Ungläubige“   brutal verfolgt –  von der islamischen Terrorgruppe „IS“ . Viele Kurden sind deshalb wieder einmal auf der Flucht – und fordern erneut  ein eigenes, sicheres Land. Wieder und wieder.

Von Caroline Kron