Besuch bei einem mutterlosen Lämmchen

Große Liebe. Motzi schmust auch gerne mit dem Hütehund.
Große Liebe. Das Lämmchen Motzi schmust gerne mit dem Hütehund. (Foto: Michael Bause)

Aufgeregt stakst Motzi um Fly herum. Das Lämmchen knabbert am Hundehalsband. Immer wieder steckt es seine Schnauze unter den Bauch der Hündin und versucht, bei ihr Milch zu trinken. Irgendwann geht Fly ein paar Schritte weg, Motzi meckert. „Du bekommst doch erst in einer Stunde wieder deine Flasche“, sagt Vinca Bröker.

Das braun gelockte Lämmchen wurde von seiner Mutter nicht angenommen – so etwas passiert manchmal. Aber weil es fit und gesund ist, zieht Vinca Bröker es mit der Flasche auf. Alle zwei Stunden muss sie das Kleine füttern. Insgesamt 25 weibliche Schafe leben bei Vinca Bröker, 22 Lämmchen sind in den vergangenen Wochen zur Welt gekommen. Wir haben Vinca Bröker und ihre Tiere besucht.

Der Hütehund passt auf alle auf

Eigentlich hilft der Border Collie, die Schafe einzutreiben. Aber Motzi hat den Hund als Mama-Ersatz auserkoren. (Foto: Michael Bause)

Vinca Bröker wohnt zusammen mit ihrer Tochter in einer Wohnung auf einem Hof außerhalb von Köln. Ihre Schafe stehen auf alten Streuobstwiesen ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Die Schafe hat Vinca Bröker nur als Hobby, so wie andere Leute Hunde, Katzen oder Kaninchen haben.

Geld verdient sie damit nicht, sie arbeitet als Lehrerin. „Eigentlich habe ich die Schafe nur für den Hund angeschafft“, sagt Vinca Bröker und lacht. Fly gehört nämlich zur Rasse Border Collie – und ist ein sogenannter Hütehund.

Border Collies wollen immer beschäftigt werden

Border Collies sind so gezüchtet worden, dass sie immer etwas bewachen wollen. Wird ihnen langweilig, jagen sie auch schon mal Autos hinterher. „Erst hatte ich Lauf-Enten, die mein Hund gehütet hat. Aber vor zwölf Jahren habe ich dann die ersten Schafe gekauft, einfach aus Interesse“, erzählt sie. Aus fünf Schafen wurden 25.

Fly hilft Vinca Bröker dabei, die Schafe von einer Wiese auf die andere zu bringen. „Wenn ich das alleine versuchen würde, dann würden mir alle Tiere abhauen.“ Mit geschickten Manövern treibt Fly die Tiere zusammen – das geht auch, weil die Schafe sich vor dem Hund fürchten. Dass Motzi so engen Kontakt zu Fly sucht, ist deswegen sehr ungewöhnlich.

Alte Schafrassen werden vom Aussterben bewahrt

Die Rassen, die Vinca Bröker züchtet, sind schon ganz alt. Die Züchterin will, dass sie nicht aussterben. (Foto: Michael Bause)

Es sind ganz besondere Schafe, die bei Vinca Bröker leben. Die Tiere sind Ostpreußische Skudden und Krainer Steinschafe. Beide Rassen gibt es schon sehr lange bei uns in Deutschland – trotzdem sind sie vom Aussterben bedroht. „Die Tiere geben nicht genug Milch, Fleisch und Wolle. Deswegen können Schafhalter mit ihnen kein Geld verdienen.“ Die weißen Schafe, die im Kölner Grüngürtel oder in Norddeutschland auf dem Deich stehen, sind in vielen Jahren so gezüchtet worden, dass sie mehr Milch, Fleisch, Wolle – und somit Geld geben. Trotzdem verdienen Schafhalter schlecht.

Dass Vinca Bröker Skudden gekauft hat, hatte einen einfachen Grund: „Die Tiere sehen sehr hübsch aus. Aber sie sind auch klein und leicht – deswegen kann ich sie gut hochheben.“ Das muss sie manchmal tun, um zum Beispiel die Klauen zu schneiden. „An den Tierschutz habe ich erst später gedacht.“ Sie findet es wichtig, dass alte Tierrassen nicht aussterben. „Im Gegensatz zu einigen neuen Schafrassen sind meine Tiere sehr robust“, sagt sie. Das ganze Jahr über leben die Tiere draußen, sie fressen auch Brennnesseln, Disteln und Gräser, von denen andere Schafe nie satt werden würden.

Die Lämmchen brauchen viel Pflege

Am Anfang wollen kleine Schafe ungefähr 40 Mal am Tag trinken. (Foto: Michael Bause)

Etwa fünf Monate ist ein Schaf schwanger, bis das Lämmchen zur Welt kommt. Meistens bekommt die Mutter ein oder zwei Kinder. Direkt nach der Geburt leckt die Mutter das Kind sauber. Bei Motzi hat die Mutter das nicht gemacht – das war für Vinca Bröker das Zeichen, dass die Mutter ihr Kind nicht akzeptiert. Schon kurz danach steht das Lämmchen auf, nach einer halben Stunde trinkt es zum ersten Mal Milch. „Nach zwei Stunden kann es schon mit der Herde mitlaufen“, sagt Vinca Bröker.

Laufen ist wichtig, denn Schafe sind Fluchttiere – sie laufen also weg, wenn Gefahr droht. Etwa ein halbes Jahr trinken die Lämmchen bei der Mutter und zwar am liebsten in kleinen Portionen. „Jedes Mal, wenn die Mutter aufsteht, trinken die Kleinen“, sagt Vinca Bröker. Insgesamt machen sie das etwa 40 Mal am Tag. Nach zwei oder drei Wochen beginnen sie selbst Gras zu fressen. Und nach eineinhalb Jahren sind die Weibchen dann erwachsen – und können selbst so süße kleine Lämmer bekommen.

Hier siehst du das Lämmchen im Video:

Von Angela Sommersberg